Freitag, 17. April 2020

Sind wir hier wirklich im Paradies?

Seit 4 1/2 Wochen harren wir nun hier aus, das Schiff schaukelt so vor sich hin und die Sonne brennt jeden Tag auf's Neue mit mindestens 30 Grad im Schatten erbarmungslos auf uns nieder. Seit einigen Tagen bade ich nun die Spuren der Unverträglichkeit von Weizenmehl aus. Anderes Mehl gibt es hier nicht und irgendwo ist immer Mehl drin enthalten. Ich wurde zunehmens schlapp, die Haut juckt an einigen Stellen und gestern hatte ich mit Bauchschmerzen zu kämpfen. Deshalb wollte ich heute etwas Richtiges kochen! Ich hatte heute Morgen die Hähnchenkeulen aus dem Gefrierfach genommen und aufgetaut und dazu wollte ich Pommes aus frischen Kartoffeln in den Backofen schieben. Als ich dann tiefer in das Thema Mittagessen einsteigen wollte, packte ich die Hähnchenkeulen aus und vernahm unverblümt den für hier typischen Geruch des Fleisches, das ungekühlt den ganzen Tag lang auf dem Markt angepriesen wird. Er stieg mir unsanft in die Nase und ich stellte mir dabei vor, wie die Frauen auf dem Markt die Keulen jedem Interessenten zeigen, sie dafür in die Hand nehmen und mehrmals drehen und wenden und sie dann wieder auf die weißen Fliesen der Fleischtheken zurücklegen. Neben dem Fleisch liegt irgendwo ein undefinierbarer Lappen in der Ecke, die Farbe kaum mehr erkennbar, mit dem ab und an genau diese Fliesen abgewischt werden. Frisches Wasser zum Auswaschen des Lappens? Naja! Mir steigt schon jetzt ein Kloß in den Hals! Ich denke, na wenn ich die Keulen lange genug in den heißen Ofen schiebe, wird schon alles gut gehen! Das ist hier halt so! Später erfahre ich, dass sich meine Angst bewahrheiten sollte, dass nämlich genau die Keulen, die den ganzen Tag nicht verkauft werden konnten, abends dann eingefroren werden um sie am nächsten Tag als Gefrierware anzupreisen... Mir trieft der Schweiß von der Stirn!

Der Rest des Tages war gelaufen...

Nach dem Essen kneift bald mein Bauch. Während Ludger einen Schluck Rum trinkt, lege ich mich hin. Der Schweiß quillt mir aus allen Poren.

Später will ich rüberpaddeln zu Bernd, wo Ludger sich schon zu einem Tee eingefunden hat. Ich sehe, dass sich ein kleiner Fisch das Leben genommen hat und wahrscheinlich gezielt in die Getränke-Vertiefung des Kajaks gesprungen ist. Nun schwimmt er zwar  - eher passiv - , aber das dürfte das Süßwasser von dem Platzregen sein, der eben unerwartet über uns kam. Ich ziehe das Kajak näher und lasse mich unsanft in den Sitz fallen und... wie hätte es anders sein können, das Regenwasser hatte sich in der Sitzmulde gesammelt ... und da saß ich jetzt mittendrin! Ich biss mir auf die Zunge und paddelte rüber...Es war heute wirklich nicht mein Tag!


 Was das Lebensmittelangebot angeht, so ist das nicht wirklich paradiesisch. Es gibt hier im Umfeld keinen Hunger, aber die Menschen leben von der Hand in den Mund. Es gibt so gut wie keinen Käse, eine einzige heimische Sorte gibt es, aber der Käse ist es eigentlich nicht wert als solcher bezeichnet zu werden. Er sieht aus wie fest gewordener Schmelzkäse, hat aber keinen Geschmack! Der genaue Blick auf die kaum lesbaren ingridients bringt es ans Tageslicht:
"vegetable oil:(may contain one or more of the following oils: Coconut oil, Palm oil), Milk protein, Naturel cheese, buttermilk powder, Corn starch, Tapioca starch, Emulsifiers (Sodium phosphate, Monoglyceride), Preservatives (Potassium Sorbate), Acidity Regulator (Acetic Acid), Vitamins and Minerals (Calcium phosphate, Iron Pyrophosphate, Retinyl Palmitate, Riboflavon, Sugar, Natural and Natural Identical Butter Flavour."

Butter gibt es so gut wie überhaupt nicht, alles ist Palmfett und Soja, bestenfalls mit Kokosnussfett gemischt, die jeweiligen Anteile im Lebensmittel werden nicht deklariert! Milch bekommt man gelegentlich als H-Milch, alles andere wäre auch fatal in diesem Klima! Als Mehl gibt es halt Weizenmehl, andere Getreidesorten sind unbekannt. Haferflocken bekommt man in manchen Geschäften mit ein bisschen Glück. Import aus dem Ausland, Neuseeland. Das Schweinefleisch wird samt Knochen gehackt (die Splitter bleiben bis zum Auftischen im Essen), es wird von allen Seiten immer und immer wieder angefasst (s.o.) und ohne Kühlung angepriesen. Dasselbe gilt für den Fisch, der auch nicht ausgenommen angepriesen wird, und die kleinen Fische werden von den Einheimischen teilweise mit Darm und Kopf gegessen! Es schaudert mich angesichts des Geruchs, der sich manchmal auf diesen Märkten ausbreitet. Was leben wir doch zuhause eine Qualität! Obst gibt es: Neben Bananen gibt es Ananas und eine Sorte aus Neuseeland importierter Äpfel, alle einzeln eingepackt in Plastik, aber leider oft geschmacklos....und Gemüse gibt es in "Nicht-Corona-Zeiten"  einiges, was wir zuhause auch kennen. Derzeit ist die Auswahl bescheiden... Frisches Rindfleisch habe ich noch nirgendwo zu kaufen gesehen, außer in Dosen als Corned Beef. Das scheint aber aus Separatorenfleisch zu bestehen (maschinell vom Knochen gelöstes Restfleisch), welches auf dem europäischen Markt keinen Absatz findet und auch schrecklich schmeckt!


Na, und dann gibt es hier noch diese lästigen Nic-Nics, diese häßlichen kleinen Fliegen am Strand, die mir grundsätzlich schneller in die Füße stechen, als ich sie sehen kann. Sie beißen und die Stiche sind nicht groß, aber jucken stark. Nach ein bis zwei Tagen entzünden sich die Stiche oft und es entsteht ein kleiner Tropfen Eiter in der Mitte. Wenn man nichts unternimmt, werden sie zu hartnäckigen eitrigen Entzündungen, die weiter fortschreiten und bis zur Sepsis führen können. Egal, ob man sie behandelt oder nicht, sie hinterlassen richtige Löcher in der Haut, die immer wieder anfangen zu eitern und deren Heilung bestenfalls zwei bis drei Wochen dauert. Ein Tipp der Einheimischen, ganz pragmatisch und recht hilfreich: Man koche heißes Wasser und gieße es über den Zipfel eines Lappens und drücke das dann auf die Wunde: Die Keime sterben von der Hitze! Schon, aber... Autsch! Hab's schon einige Male ausprobiert, man kann auch einen Löffel nehmen, den man zuvor in den frisch aufgegossenen Kaffee hält... Hmmm! Trotzdem komme ich meist nicht ganz ohne meine gute alte Tiermedizin aus. Fusidinsäure hat bisher noch immer geholfen, wenn man sie denn oft genug aufträgt...

So zirpen zwar im hiesigen Paradies die Grillen, die Brandung tost am feinen weißen Sandstrand, die Sonne ist fast immer am Himmel zu sehen, die Sonnenuntergänge sind zauberhaft, der Regenwald faszinierend, alles erscheint idyllisch! Es macht große Freude die Fische im türkisblauen Wasser zu beobachten, zu sehen wie sie sich in unserer Zeit hier vermehrt haben, ab und zu eine Schildkröte zu entdecken und sogar Langschwanzmakaken am Strand zu beobachten. Trotzdem ist es für die meisten Menschen hier ein täglicher Kampf um's Überleben. Und wenn mir alle diese Gedanken durch den Kopf gehen, stelle ich wie schon so oft fest: Es ist zwar sehr schön hier um für eine bestimmte Zeit das Land zu entdecken, aber leben auf Dauer möchte ich doch nicht hier! Um eine Reise in das vermeintliche Paradies an die mit Palmen bewachsenen weißen Strände mit dem 30Grad warmen Wasser mit den weichen Wellen mag man von dem ein oder anderen möglicherweise beneidet werden, doch es gibt eine Menge paradiesischer Zustände auch daheim, ob es unser Gesundheitssystem, unser Verkehrssystem, unsere Bildung (auch wenn daran derzeit viel auszusetzen ist!) oder unser Klima ist, allein unser reichhaltiges Nahrungsangebot ist unschlagbar und wieder einmal wundert es mich nicht, dass es Menschen aus aller Welt mit aller Gewalt nach Deutschland zieht...

           Ca. 170 Tintenfische halten sich tagelang um unser Schiff auf und es werden immer mehr!
Plötzlich sind die Tintenfische zum Nachbarschiff umgezogen und bei uns sammeln sich riesige Schwärme von kleinen "Futterfischen". Nach ein paar Tagen folgen dann auch die Prädatoren, die wie Hütehunde ihre Nahrung Tag und Nacht umkreisen und beisammenhalten. Morgens und abends stillen sie dann im platschenden Wasser ihren Hunger!

                                         "Unsere Insel" für fast 5 Wochen: Inaringan Island

Christiane











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